Verzeichnisse aus der Schutzjudenzeit (1800 – 1812)

Verzeichnisse vom Anfang des 19. Jahrhunderts
Die umfangreichsten Informationen zu Schutzjuden liegen für den Zeitraum 1800 bis 1809 vor. Die Verzeichnisse vom Anfang des 19. Jahrhunderts werden im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz im Bestand Generalfiskalat (I. HA Rep. 104) aufbewahrt und können online eingesehen werden. Sie werden teils als Listen, teils als Tabellen bezeichnet, soweit sie die Kurmark betreffen. Aufschreibungen aus der Neumark aus diesem Zeitraum werden zudem in Einzelfällen auch unter den Namen Generaljudenliste und Generaljudenfamilientabelle geführt. Im Bezug auf Berlin werden die Begriffe Listen, Tabellen und Verzeichnisse verwendet.
Die Aufschreibungen enthalten Angaben zu jüdischen Familien, die in diesem Zeitraum legal in Brandenburg lebten. Weiterhin stehen Forschern Auflistungen mit Angaben zu Geburten, Trauungen und Sterbefällen (Kurmark), Häusern von Schutzjuden (Kurmark, Neumark, Berlin), bei Schutzjuden lebenden Brüder und Schwäger (Kurmark), Dienern von Schutzjuden (Kurmark) sowie Verzeichnisse naturalisierter Mitglieder der jüdischen Gemeinde (Berlin) zur Verfügung.
Welchen Zweck hatte dieses umfangreiche Berichtswesen? TERLINDEN beschrieb seinen Zweck im Jahr 1804 wie folgt 1 :
„Damit dem Einschleichen fremder verdächtiger und unvergleiteter Juden vorgebeugt und die gesetzwidrige Vermehrung der Judenfamilien in den Preußischen Staaten vermieden werden möge, auch die angesetzten Juden unter genauer Aufsicht gehalten werden mögen, sind in den Preußischen Staaten gewisse Anstalten getroffen, wodurch dieser doppelte Zweck erreicht werden kann“.
Bei den Aufschreibungen aus den Jahren 1800 bis 1809 handelt es sich um Vorgänger der Judenregister, die von 1812 bis 1847 von der Polizei-Obrigkeit (in Städten) oder dem Landrat des Landkreises (auf dem Lande) geführt werden mussten und Angaben zu Geburten, Hochzeiten, Scheidungen und Todesfällen unter der jüdischen Bevölkerung enthielten.2
Aus Sicht eines Familienforschers sind die „Listen von den Judenfamilien“ von besonderem Wert. Da das Berichtswesen an der seit 1750 geltenden Judenordnung orientiert war, erfährt man nicht nur die Namen und das Alter der Einwohner, sondern kann aus den Listen auch vieles über das Leben der erfassten Personen ableiten, beispielsweise, ob ihnen die Möglichkeit offenstand, zu heiraten oder ob sie lebenslang an ihrem Wohnort bleiben durften.
Neumark
Das letzte vollständige Verzeichnis jüdischer Familien mit Wohnsitz in der Neumark im GSTA PK stammt aus dem Jahr 1805 und umfasst insgesamt 31 Ortschaften. Für den Zeitraum 1806 bis 1810 liegen lediglich Listen vor, die entweder jeweils getrennt nur einen Teil der Neumark oder ausschließlich eine einzige Stadt erfassen.
Die Verzeichnisse der Neumark beinhalten folgende Informationen:
- Namen und Alter „ordentlicher“ und „außerordentlicher“ Schutzjuden sowie „Publique Bedienter“
- Namen und Alter ihrer Ehefrauen
- Namen und Alter der Kinder. Bei ordentlichen Schutzjuden wurde zwischen angesetzten und übrigen Kindern unterschieden.
- Schutzbriefe, Konzessionen und sonstige Rechte, die eine Person besaß
- Sonstige, sich im Haushalt befindliche Personen wie beispielsweise Knechte, Mägde, Verwandte und Schulmeister
- Hausbesitz und dem Lebensunterhalt dienende Tätigkeiten
- Höhe jährlicher Schutzgeldzahlungen und sonstiger Abgaben

Abb. 5 a: Judenfamilien in Königsberg (Neumark) im Jahr 1800 (Teil 1)
Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA Rep 104 IV C Nr. 146

Abb. 5 b: Judenfamilien in Königsberg (Neumark) im Jahr 1800 (Teil 2)
Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA Rep 104 IV C Nr. 146
Kurmark
Die Verzeichnisse jüdischer Familien, die ihren Wohnsitz in der Kurmark (Zeitraum 1800 bis 1809) hatten, enthalten Angaben zu 51 Orten (ohne Berlin). Der Informationsgehalt der Verzeichnisse ist geringer als derjenigen der Neumark, denn es fehlen Angaben zu den Ehefrauen von Schutzjuden und Publique Bedienter, ebenso zu sich im Haushalt befindliche Personen, dem Hausbesitz und dem Lebensunterhalt dienende Tätigkeiten sowie Höhe jährlicher Schutzgeldzahlungen und sonstiger Abgaben. Ehefrauen werden in den Verzeichnissen allerdings dann namentlich erwähnt, wenn ihr Ehemann verstorben war und das Schutzrecht nach seinem Tod auf die Witwe überging.3

Abb. 6: Ordentliche und außerordentliche Schutzjuden in Strausberg (Auszug, 1800)
Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA Rep 104 IV C Nr. 145
Nutzung der Verzeichnisse für Forschungszwecke
Einer der 21 ordentlichen Schutzjuden, die im Jahr 1800 in Potsdam lebten, war der 55-jährige Behrend HERTZ .4 Seine beide Kinder, der Sohn David (23 Jahre alt) und die Tochter Mindel (29 Jahre alt), wurden in der Rubrik der Judenliste erfasst, in der nicht privilegierte Kinder ordentlicher Schutzjuden notiert waren.5 Zu diesem Zeitpunkt hatten nur drei der ordentlichen Schutzjuden der Stadt ein Kind „angesetzt“.6

Abb.7: Der Schutzjude Behrend HERTZ und seinen beiden Kinder, Potsdam 1800
Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA Rep 104 IV C Nr. 145
Hinweis:
Im Berichtswesen der Jahre 1800 bis 1809 tauchen verschiedene Schriftweisen der Namen von Vater und Sohn auf: BEHREND und BEREND sowie HERTZ und HERZ. Im weiteren wird die Schriftweise des jeweiligen Dokuments verwendet.
Zur Vorgeschichte der Familie HERTZ ist dem Verzeichnis nur wenig zu entnehmen. Wir erfahren lediglich. dass der Vater 1745 geboren wurde und seine Kinder 1771 und 1777 zur Welt kamen. Geburtsorte oder der letzte Wohnort werden nicht genannt. Zur Ehefrau von Behrend HERTZ fehlen jegliche Informationen.
Der Rechtsstatus von David HERZ 7 änderte sich einige Jahre später, als er von seinem Vater „angesetzt“ wurde. Es ist zu vermuten, dass dieser Wechsel im Rechtstatus vorgenommen wurde, da David die Absicht hatte, in Kürze zu heiraten. Die Heirat fand 1805 statt. Informationen zum Brautpaar finden sich in einer gesonderten Judentabelle, die ausschließlich Geburten, Hochzeiten und Todesfälle dokumentiert.

Abb. 8: Hochzeit von David HERZ und Jellchen HILDESHEIMERr, Potsdam 1805
Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA Rep. 104, IV C Nr. 013
Den Aufzeichnungen ist zu entnehmen, dass David die Tochter des Schutzjuden Abraham HILDESHEIMER aus Braunschweig namens Jellchen zur Frau nahm und das Paar sich entschied, in Potsdam zu bleiben.
In den nächsten drei Jahren hatte das Ehepaar zwei Kinder: Jacob Herz David und Beile. Beide wurden in der Judentabelle von 1809 als sonstige Kinder ordentlicher Schutzjuden geführt. Davids inzwischen 38-jährige Schwester Mindel war zu diesem Zeitpunkt weiterhin unverheiratet.

Abb. 9: Darstellung der Familie HERZ / BEHREND im Verzeichnis des Jahres 1809
Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA Rep. 104, IV C Nr. 107
Behrend HERZ und sein Sohn David BEHREND wurden nach der Verabschiedung des Emanzipationsgesetzes vom 11. März 1812 preußische Staatsbürger. Der Vater nahm den festen Familiennamen HERZBACH an, während der Sohn seinen bisherigen zweiten Namen in der Schreibweise BEHREND zum Familiennamen machte.8

Abb. 10: Namen von Behrend HERZ und David BEHREND als preußische Staatsbürger
Quelle: Beilage zum 40sten Stück des Amtsblatts der Königl. Kurmärkischen Regierung, Potsdam 1814
Hilfestellungen auf der BGG-Website
Wir bieten allen Forschern, die sich mit Juden beschäftigen, die zwischen 1800 und 1809 in der Kurmark und der Neumark lebten, zwei durchsuchbare Datenbanken als Hilfestellung an.
Kurmark
Die Datenbank zur Kurmark basiert auf im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz aufbewahrten Verzeichnissen, die personenbezogene Daten aus 51 kurmärkischen Ortschaften enthalten. Die Verzeichnisse aus dem Jahr 1809 sind unseres Wissens die letzten Aufstellungen dieser Art aus der Schutzjudenzeit.
Die Datenbank beinhaltet die Namen und das Alter
- ordentlicher und außerordentlicher Schutzjuden
- angesetzter Kinder ordentlicher Schutzjuden
- Angestellter der Jüdischen Gemeinde
- Beschäftigter der hebräischen Druckerei in Frankfurt/Oder
Zudem wurden Angaben zur Anzahl der Kinder, Diener, Brüder und Schwäger erfasst; weiterhin, ob ein Schutzjude ein Haus besaß.
Neumark
Die Datenbank zur Neumark beruht auf im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz aufbewahrten Verzeichnissen, die personenbezogene Daten aus 31 Ortschaften der Neumark enthalten und in den Jahren 1803 – 1805 erstellt wurden. Ein Teil dieser Verzeichnisse enthält Angaben zur gesamten Neumark, während andere nur jeweils Teilbereiche des Gebiets (Vorderkreise, Hinterkreise, Inkorporierte Kreise) erfassen.
Die Datenbank beinhaltet Namen und Alter
- ordentlicher und außerordentlicher Schutzjuden und deren Ehefrauen
- angesetzter Kinder ordentlicher Schutzjuden und deren Ehefrauen
- Angestellter der Jüdischen Gemeinde und deren Ehefrauen
Zudem werden Angaben zur Anzahl der Kinder, Diener, Brüder und Schwäger erfasst; weiterhin, ob ein Schutzjude ein Haus besaß.
Fußnoten
1 Vgl. ebd., S. 110.
2 Vgl. MICHAELIS, Alfred: Die Rechtsverhältnisse der Juden in Preußen seit dem Beginne des 19.Jahrhunderts, Berlin 1910, S. 13 f.
3 In den Judentabellen finden sich sowohl Beispiele dafür, dass der Name der Witwe genannt wird, als auch, dass von ihr lediglich als Witwe des Schutzjudens X [Name des Verstorbenen] gesprochen wird. Im Todesfall wurden Frauen namentlich in einer gesonderten Judentabelle, die lediglich Geburten, Trauungen und Sterbefällen betraf, erfasst.
4 Vgl. GSTA PK, I HA Rep 104 IV C Nr. 145. In den verschiedenen Judentabellen der Jahre 1800 bis 1809 finden sich sowohl die Schreibweise Behrend als auch Berend.
5 Vgl. ebd.
6 Vgl. ebd.
7 Unter brandenburgischen Juden waren verschiedene Formen der Namensbildung üblich, bevor sie von Gesetz wegen ab 1812 einen festen Familiennamen annahmen. Dabei wählten sie häufig als zweiten Namen den Vornamen des Vaters aus. Vgl. HEIDENHAIN, Brigitte: Juden in Wriezen. Ihr Leben in der Stadt von 1677 bis 1940 und ihr Friedhof, Potsdam 2007, S. 24 f.
8 Vgl. Beilage zum 40sten Stück des Amtsblatts der Königl. Kurmärkischen Regierung, Potsdam 1814
Text
Klaus Boas (Forschungsgruppe „Juden in Brandenburg“)