Zur Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Brandenburg

Juden in der Mark Brandenburg (17. und 18. Jahrhundert)

Angaben zur Bevölkerungsentwicklung im 17. und 18. Jahrhundert liegen nur sporadisch vor und sind als unzuverlässig zu betrachten. Um 1700 lebten geschätzt 2.500 Juden in der Mark Brandenburg. Schätzungen von Mitte und Ende des 18.Jahrhunderts deuten an, dass sich ihre Zahl bis 1750 auf etwa 4.800 erhöhte und im Jahr 1800 bei über 7.600 lag.

Berlin hatte durchgängig einen hohen Anteil an der jüdischen Bevölkerung der Mark. In einer Auflistung aus dem Jahr 1700 werden insgesamt 117 Juden mit und ohne Geleitschutz namentlich genannt. Es ist unbekannt, wie viele Familiengehörige die Einzelnen hatten. Geht man beispielsweise davon aus, dass jeder Person im Durchschnitt 4 Familienmitglieder zuzuordnen sind, errechnet sich eine Bevölkerungszahl von 468. Die Zahl Berliner Juden soll 1750 bereits bei rund 2.200 gelegen haben und bis zum Jahr 1800 auf circa 3.300 angestiegen sein.

Juden in der Provinz Brandenburg

Bevölkerungsentwicklung bis zur Gründung des Deutschen Reiches

Aus der Kur- und Mark Brandenburg ging 1815 die preußische Provinz Brandenburg hervor. Sie beherbergte 1816 lediglich 8.050 der insgesamt 123.823 preußischer Juden. Administrativ war die neu gebildete Provinz in drei Regierungsbezirke aufgeteilt: Berlin, Frankfurt/Oder und Potsdam. Die administrative Stellung Berlins innerhalb der Provinz sollte sich im 19. Jahrhundert mehrfach ändern.

Die jüdische Bevölkerung der Provinz verteilte sich wie folgt auf die drei Regierungsbezirke:

  • Berlin = 3.350
  • Frankfurt/Oder = 2.851
  • Potsdam = 1.849

Berlin war zu diesem Zeitpunkt die Stadt mit der höchsten Einwohnerzahl in Preußen. Der Anteil jüdischer Bevölkerung war allerdings mit 1.8 % vergleichsweise gering.

Die Bevölkerungsentwicklung wird im Weiteren durchgängig getrennt für Berlin und die Regierungsbezirke Frankfurt/Oder und Potsdam aufgezeigt, unabhängig davon, ob Berlin zum Regierungsbezirk Potsdam gehörte oder nicht.

Alle Regierungsbezirke der Provinz Brandenburg verzeichneten zwischen 1816 und 1871 einen deutlichen Zuwachs an jüdischer Bevölkerung. Der Anteil Juden an der Gesamtbevölkerung stieg in den Regierungsbezirken Frankfurt/Oder und Potsdam allerdings nur geringfügig und lag mit maximal 0.6 % auf einem niedrigen Niveau. Im Gegensatz dazu wuchs ihr Bevölkerungsanteil in Berlin überproportional von 1.8 % auf 4.4 %. Die Stadt beherbergte im Jahr der Reichsgründung 76 % aller Juden der Provinz.

Tabelle 1: Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Brandenburg-Berlin (1816 – 1871)

1816184918641871
Regierungsbezirk Potsdam1.8494.0134.3844.179
Regierungsbezirk Frankfurt/Oder2.8516.1447.1326.921
Summe Provinz (ohne Berlin)4.70010.15711.51611.100
Berlin3.3509.60424.18936.021
Gesamteinwohner der Provinz (ohne Berlin)1.072.1751.705.1201.922.9412.036.888
davon Juden in %0.44 %0.60 %0.60 %0.56 %
Gesamteinwohnerzahl Berlins185.379423.902609.243826.341
davon Juden in %1.81 %2.27 %3.97 %4.36 %

Quelle:

Ifo Institut: Prussian Economic History Database (iPEHD), unter: https://www.ifo.de/en/welcome-ipehd-ifo-prussian-economic-history-database

 

Die jüdische Bevölkerung von Reichsgründung bis zum Dritten Reich

Bis Ende des 19.Jahrhunderts stieg die Zahl der jüdischen Einwohner in der Provinz deutlich an. Das ungewöhnlich hohe Bevölkerungswachstum fand allerdings ausschließlich im Regierungsbezirk Potsdam und in Berlin statt. Der Zuwachs außerhalb Berlins fand bereits 1920 ihr Ende, als zahlreiche brandenburgische Randgemeinden Teil von Groß-Berlin wurden.

Tabelle 2: Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Brandenburg-Berlin (1871 – 1939)

187119001910192519331939
Regierungsbezirk Potsdam4.17920.78057.2894.3113.8742.179
Regierungsbezirk Frankfurt/Oder6.9214.9864.0544.1313.7421.407
Summe Provinz (ohne Berlin)11.10025.76661.3438.4427.6163.586
Berlin36.02192.20690.013172.672160.65477.850
Gesamteinwohner der Provinz (ohne Berlin)2.036.888
3.108.554
4.092.616
2.592.419
2.725.697
2.912.384
davon Juden in %0.56 %0.83 %1.50 %0.33 %0.28 %0.12 %
Gesamteinwohnerzahl Berlins826.3411.888.846
2.071.257
4.024.165
4.242.501
4.321.521
davon Juden in %4.36 %4.88 %4.35 %4.29 %3.79 %1.80 %

Quellen:

(a) Königlich Statistisches Bureau, Die Gemeinden und Gutsbezirke des Preußischen Staates und ihre Bevölkerung nach den Urmaterialien der allgemeinen Volkszählung vom 1.Dezember 1871, II. Brandenburg, Berlin 1873. (b) Königlich Statistisches Bureau, Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Band I, Berlin 1888. (c) Königlich Statistisches Bureau, Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Band IV, Berlin 1903. (d) Königlich Statistisches Bureau, Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Band XI, Berlin 1914. (e) Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1927. (f) Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1934. (g) Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1941-42.

 

Nach einem zeitweiligen Rückgang der in Berlin ansässigen Juden wurde bei der Volkszählung von 1925 ein neuer Höchststand von rd. 173.000 ermittelt, was einem Anteil an der Stadtbevölkerung von rd. 4.3 % entsprach.

1925 lebten fast 43 % von allen preußischen Juden und über 30 % aller deutschen Juden in Berlin. Die Stadt hatte zugleich, zusammen mit Frankfurt am Main und Breslau, unter allen Großstädten den höchsten Anteil von Juden an der Bevölkerung.

Im Gegensatz hierzu ging die Einwohnerzahl im Regierungsbezirk Potsdam im Vergleich zur Vorkriegszeit drastisch zurück, was vor allem das Ergebnis der Integration von bevölkerungsreichen brandenburgischen Städten wie Charlottenburg, Wilmersdorf und Schöneberg in Groß-Berlin gewesen sein dürfte.

Nach 1925 nahm die jüdische Bevölkerung der Provinz bis zum Ende der Weimarer Republik außerhalb Berlins lebenden Juden um rund 10 % ab. In Berlin war im gleichen Zeitraum ein Rückgang von 7 % zu verzeichnen.

Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung (1933 -1945)

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verließen viele Juden die Regierungsbezirke Potsdam und Frankfurt/Oder. Sie siedelten entweder nach Berlin um, das die Anonymität einer Großstadt erhoffen ließ oder verließen Deutschland unter dem Druck der sich ständig verschlechternden Lebensbedingungen.

Die Auswirkungen von Binnenwanderung, Auswanderung, Ausweisung und Flucht zeigten sich bereits deutlich bei der Volkszählung vom Mai 1939. Innerhalb weniger Jahre hatte sich die jüdische Bevölkerung außerhalb Berlins auf knapp 3.600 reduziert, wenn man nur die Kategorie Glaubensjuden berücksichtigt. Auch in Berlin ging die jüdische Bevölkerung (Glaubensjuden) nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bis Mitte 1939 um mehr als die Hälfte auf 77.850 zurück.

Zum Ende des 2.Weltkriegs lebten nur noch wenige Juden in Brandenburg-Berlin. Ein Großteil wurde entweder Opfer der Holocausts oder schaffte es, sich in Ausland zu retten und dort zu überleben.

 

Weiteres zum Thema Bevölkerungsentwicklung

Weiterführende Literatur und amtliche Statistiken

BARKAI, Avraham: Bevölkerungsrückgang und wirtschaftliche Stagnation, in: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit (Bd.4) 1918 – 1945, Hrsg. von Avraham BARKAI, Paul MENDES-FLOHR und Steven M. LOWENSTEIN, München 1997, S.37 – 40.

BARKAI, Avraham: Jüdisches Leben unter der Verfolgung, in: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit (Bd.4) 1918 – 1945, Hrsg. von Avraham BARKAI, Paul MENDES-FLOHR und Steven M. LOWENSTEIN, München 1997, S.226 – 228.

Ifo Institut: Prussian Economic History Database (iPEHD), unter: https://www.ifo.de/en/welcome-ipehd-ifo-prussian-economic-history-database

JERSCH-WENZEL, Stefi: Bevölkerungsentwicklung und Berufsstruktur, in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit (Bd.2) 1780 – 1871, Hrsg. von Michael BRENNER, Stefi JERSCG-WENZEL und Michael A.MEYER, München 1996, S. 57 – 66.

Jüdische Gemeinde zu Berlin: Chronik der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, online unter: http://www.jg-berlin.org/ueber-uns/geschichte.html

Kaiserliches Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1.Jahrgang (1880), Berlin 1880.

Kaiserliches Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 34.Jahrgang (1913), Berlin 1913.

Königlich Statistisches Bureau, Die Gemeinden und Gutsbezirke des Preußischen Staates und ihre Bevölkerung nach den Urmaterialien der allgemeinen Volkszählung vom 1.Dezember 1871, II. Brandenburg, Berlin 1873.

Königlich Statistisches Bureau, Jahrbuch für die amtliche Statistik des Preußischen Staates, 5.Jahrgang, Berlin 1883.

Königlich Statistisches Bureau, Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Band II, Berlin 1893.

Königlich Statistisches Bureau, Gemeindelexikon für den Stadtkreis Berlin und die Provinz Brandenburg auf Grund der Materialien der Volkszählung vom 2.Dezember 1895 und anderer amtlichen Quellen, III. Stadtkreis Berlin und Provinz Brandenburg, Berlin 1898.

Königlich Statistisches Bureau, Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Band IV, Berlin 1903.

Königlich Preußisches Statistisches Landesamt, Gemeindelexikon für das Königreich Preußen auf Grund der Materialien der Volkszählung vom 1.Dezember 1905 und anderer amtlichen Quellen, Heft III. Stadtkreis Berlin und Provinz Brandenburg, Berlin 1909.

LOWENSTEIN, Steven: The population history of German Jewry 1815 – 1939, Boston 2023.

NEUMANN, S.: Zur Statistik der Juden in Preußen von 1816 – 1880, Berlin 1884.

RICHARZ, Monika: Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung, in: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit (Bd.3) 1871 – 1918, Hrsg. von Steven M. LOWENSTEIN, Paul MENDES-FLOHR, Peter PULZER und Monika RICHARZ, München 1997, S.13 – 38.

ROTHHOLZ, Julius: Zur Zunahme der jüdischen Einwohner in den Vororten Groß-Berlins, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, Frankfurt am Main 1929, Heft 1 / 2, S.57 – 63.

SEGALL, Jacob: Die Entwicklung der Juden in Preußen während der letzten 100 Jahre, in: Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden, Berlin, Juni 1912, Heft 6, S.81 – 86.

SEGALL, Jacob: Die Juden in Groß-Berlin, in: Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden, Berlin, September/Oktober 1914, Heft 9 / 10, S.121 – 132.

SILBERGLEIT, Heinrich: Die Bevölkerung- und Berufsverhältnisse der Juden der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930.

Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich, online unter: https://www.statistik-des-holocaust.de/.

Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 46. Jahrgang (1927), Berlin 1927

Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 56. Jahrgang (1937), Berlin 1937

Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 58.Jahrgang (1939), Berlin 1939/40

Statistisches Reichsamt, Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach den Ergebnissen der Volkszählung 1939, Heft 4: Die Juden und die jüdischen Mischlinge im Deutschen Reich, Berlin 1944

 

Text

Klaus Boas (Forschungsgruppe „Juden in Brandenburg“)