Verzeichnisse aus der Schutzjudenzeit (1688 – 1799)

Verzeichnisse aus dem 17.Jahrhundert

Es war dem preußischen Staat bereits frühzeitig daran gelegen, die in einzelnen Landesteilen lebenden Juden zu erfassen und die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung regelmäßig zu verfolgen. Auflistungen von Judenfamilien aus Berlin und Frankfurt an der Oder sind bereits aus den Jahr 1688 bekannt. Sie belegen, dass bereits 17 Jahre, nachdem die Juden sich wieder offiziell in Brandenburg niederlassen durften, ein entsprechendes Berichtswesen bestand.1

Der Informationsgehalt beider Verzeichnisse ist aus Sicht eines Familienforschers beschränkt, da nur jeweils ein Mitglied der ansässigen jüdischen Familien genannt wurde.2 Es handelte sich bis auf eine Ausnahme (eine Witwe in Berlin) ausschließlich um Männer. Andererseits enthält die Frankfurter Liste Informationen, die man in anderen Aufstellungen nicht findet: die Herkunft eines Teils der Einwohner sowie ihren Beruf.

vergleitete Judenunvergleitete Juden
Moses Aron Frenkel
Salomon Marcus
Salomon WulfLehmann von Friedland
David AbrahamHerz Moses
Löbel SamsonVeith (Jude aus Prag)
Benedikt SalomonMichel Samuel von Friedland
Henoch FrenkelJacob, Schulmeister
Abraham Henoch Henning Simon
Elias SalomonSalomon Samson
Daniel SamuelSalomon Isaac
Samuel SalomonSalomon (Jude aus Polen)
Levia JacobJoseph (Jude aus Meseritz)
Salomon SamsonIsaac, Schulmeister
Jacob IsaacDavid, Schulmeister
LobellElias Levin
Marcus BenedictIsrael Lazarus
Marcus LazarusHerz David
Moses LevinMoses, Schneider
Philip MarcusMoses
Isaac AbrahamJoseph, Petschierstecher
Jacob AbrahamJesel Jacob
Salomon, Schneider
Salomon, Schlächter
Aaron, Schneider

Abb. 1: In Frankfurt an der Oder lebende Juden (1688)
Quelle: STERN, Selma: Der Preußische Staat und die Juden. 1. Teil. 2. Abteilung, S. 527

Die Namensliste der jüdischen Bevölkerung von Frankfurt an der Oder ordnet die aufgelisteten Personen anhand ihres Rechtsstatus zwei unterschiedlichen Kategorien zu:

  • Juden mit einem Schutzbrief 3 – sogenannte „vergleitete“ Juden“ – hatten unter anderem das Recht, sich an einem ihnen zugewiesenen Ort niederzulassen.
  • „Unvergleitete“ Juden dagegen besaßen keinen Schutzbrief und damit auch nicht das in ihm verbriefte Niederlassungsrecht.4

Erhebungen zum Stand der jüdischen Bevölkerung zu verschiedenen Zeitpunkten gegen Ende des 17. Jahrhunderts belegen, dass sich zahlreiche Juden ohne rechtliche Grundlage in den Jahrzehnten nach Erlass des Edikts von 1671 in der Mark Brandenburg angesiedelt hatten.5

Die Erfassung jüdischer Einwohner erfolgte nicht nur in Brandenburg, sondern auch in anderen Teilen Preußens. So verweist LAUX auf eine Aufstellung aus dem Herzogtum Kleve aus der Zeit um 1700, in der die ansässigen jüdischen Familien einzeln aufgelistet und zudem teilweise Informationen zu deren wirtschaftlichen Lage und ihren beruflichen Aktivitäten erfasst wurden6. Bei STERN findet sich eine zur gleichen Zeit entstandene detaillierte Aufstellung der in Halberstadt lebenden Juden mit den Rubriken Eigen Haus, Stuben, Mann, Frauen, Kinder, Gesinde.7

Das der preußische Staat zudem Interesse daran hatte, über alle Veränderungen im Personenstand der im Land ansässigen Juden informiert zu werden, lässt sich daran erkennen, dass8

  • bereits 1716 die Judenältesten angewiesen wurden, Todesfälle zu melden.
  • man im Jahr 1722 verordnete, dass jeder Jude vor seiner Hochzeit eine Genehmigung einzuholen habe.

Wer sich ein Bild davon möchte, in welcher Form die jüdische Bevölkerung einzelner Ortschaften während der Schutzjudenzeit, die in Brandenburg nach rd. 140 Jahren mit dem Emanzipationsgesetz von 1812 endete, vom preußischen Staat erfasst und kontrolliert wurde, findet hierfür eine Vielzahl von Beispielen im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GSTA PK), dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, den Sammlungen von Selma STERN und Jacob JACOBSON im Leo Baeck Institute (New York) sowie in der Fachliteratur. Bei den in diesem Beitrag angesprochenen Verzeichnissen handelt es sich ausschließlich um solche, die Genealogen online zur Verfügung stehen.

Verzeichnisse aus dem 18. Jahrhundert

Forscher begegnen im 18. Jahrhundert einer Vielfalt der Darstellungsformen von Judenverzeichnissen, wie die folgenden Beispiele aufzeigen. Abb. 2 basiert auf einer Namensliste, die der Stern-Taeubler Collection im Archiv des New Yorker Leo-Baeck-Institute9 entnommen wurde. Sie weist die bereits aus Abb. 1 bekannte Aufteilung der Bevölkerung in vergleitete und unvergleitete Juden auf und bietet keine Informationen zu Familienangehörigen.

Ortvergleitete Judenunvergleitete Juden
Tangermünde Levin Jacob Joseph
KyritzLevin Simon
HavelbergLevin Ascher
WittstockMarcus Meyer
BrandenburgDavid Samuel
Simson Jacob
Israel Jacob
Juda Jacob Michael
Nathan David
Benjamin Davids Witwe
RathenowJacob David
Levin Moses
Moses Levin
Moses Jacob
NauenJochim Marcus
Salomon Marcus
SpandauJoseph Abrahams Witwe
Salomon Israels Witwe
KremmenMeyer AbrahamLevin Hirsch, Totengräber
FrisackIsaak Jacob
David Abraham

Abb. 2: Vergleitete und unvergleitete Juden in Ortschaften der Kurmark (Auszug, 1728)
Quelle: Leo Baeck Institute: Selma Stern-Taeubler Collection (AR 7160 / MF 479)

Das Verzeichnis Berliner Juden aus dem Jahr 1749 (Abb. 3) liefert bereits deutlich mehr Erkenntnisse, in dem es nicht nur die Namen des Schutzjuden, sondern auch den Namen und das Alter seiner unverheirateten Kinder nennt. Weiterhin werden in der Aufstellung die Anzahl und Art der vom Hausherrn beschäftigten Bediensteten erfasst.

Abb. 3: Juden in den Residenzstädten Berlin und Cölln, Februar 1749
Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA Rep.104 IV A Nr. 048

Während es sich bei den bisher vorgestellten Verzeichnissen um Erfassungen zu einem bestimmten Zeitpunkt handelt, bieten Judenlisten, die in der 2.Hälfte des 18. Jahrhundert für Berlin und alle Ortschaften der Kurmark und der Neumark kontinuierlich geführt wurden, einen Einblick darin, wer sich innerhalb eines Zeitraums von mehreren Jahrzehnten an einem Ort legal aufgehalten hatte. Die Aufstellungen unterscheiden sich von den bisher in Auszügen abgebildeten dadurch, dass die jüdische Bevölkerung eines Ortes von den Verfassern den Kategorien Ordinari, Extraordinari und Publique Bediente zugeordnet wurde.

Die Begriffe Ordinari, Extraordinari und Publique Bediente gehen auf das Generaljudenprivileg von 1750 zurück. Der Rechtstatus dieser zahlenmäßig wichtigsten Gruppen unter der Judenschaft wurden von TERLINDEN in einem 1804 erschienenen Buch, das die Grundsätze des Judenrechts in den Preußischen Staaten behandelte, im Detail beschrieben und lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Ordinari (Ordentliche Schutzjuden)10

  • Ordentliche Schutzjuden hatten das Recht, sich an einem Ort auf Lebenszeit niederzulassen und eines ihrer Kinder (Sohn oder Tochter) „anzusetzen“, d.h. das ihnen zugestandene Privileg auf dieses zu übertragen. Das Kind musste allerdings über ein Vermögen von 1.000 Reichstalern verfügen.
  • Das angesetzte Kind durfte heiraten, soweit der Ehepartner oder die Ehepartnerin wohlhabend war.
  • Ab 1763 konnte auch ein zweites Kind angesetzt werden, vorausgesetzt, es verfügte über Vermögen und war besonders geschäftstüchtig.
  • Ein ordentlicher Schutzjude hat das Recht, alle seine Kinder zu seinen Lebzeiten bei sich zu behalten.

Extraordinari (Außerordentliche Schutzjuden)11

  • Zu dieser Gruppe gehörten alle Kinder eines ordentlichen Schutzjuden, die nicht vom Vater zu dessen Lebzeiten angesetzt worden waren und denen nach dessen Tod ein außerordentlicher Schutz gewährt wurde. Um einen außerordentlichen Schutz zu erhalten, mussten sie allerdings über 1.000 Reichsthalern Vermögen verfügen.12
  • Dieser Personenkreis wurde auf Lebzeiten im Land geduldet, konnte aber keine Kinder ansetzen oder verheiraten.
  • Kinder, die nicht über das notwendige Vermögen verfügten, durften unter der Voraussetzung im Land bleiben, dass sie eine Tätigkeit für einen anderen Juden oder eine jüdische Gemeinde aufnahmen.
  • Weiterhin wurden dieser Gruppe Witwen zugerechnet, die nicht das ordentliche Schutzrecht ihres Mannes geerbt hatten.

Publique Bediente13

  • Die Gruppe der Publique Bedienten umfasste Angestellte jüdischer Gemeinden. Welche Tätigkeiten zulässig waren, wurde im Judenreglement von 1750 einzeln aufgeführt (§ III); ebenso, wie viele Angestellte eine Gemeinde maximal haben konnte.
  • Publique Bediente genossen vergleichbare Rechte wie außerordentliche Schutzjuden.

Abb. 4 a: Ordentliche Schutzjuden in Königsberg (Neumark) von ca. 1760 bis 1800
Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA Rep.104 IV C Nr. 235 C

Abb. 4 b: Außerordentliche Schutzjuden in Königsberg (Neumark) von ca. 1760 bis 1800
Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA Rep.104 IV C Nr. 235 C

Abb. 4 c: Publique Bediente in Königsberg (Neumark) von ca. 1760 bis 1800
Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA Rep.104 IV C Nr. 235 C
ngen und sonstiger Abgaben

 

Fußnoten

1  Vgl. STERN, Selma: Der Preußische Staat und die Juden. 1. Teil. Die Zeit des Großen Kurfürsten und Friedrichs I., 2. Abteilung: Akten, Berlin 1925, S. 526 f.

2  Vgl. ebd.

3  Vgl. Glossar, in: Jüdisches Brandenburg, Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Irene A. DIEKMANN, Berlin 2008, S. 656.

4 Vgl. ebd.

5  Vgl. KÖNIG, Anton Balthasar: Annalen der Juden in den preußischen Staaten besonders in der Mark Brandenburg, Berlin 1790, S. 127 f.

6  Vgl. LAUX, Stephan: Zwischen Anonymität und amtlicher Erfassung. Herrschaftliche Rahmenbedingungen jüdischen Lebens in den rheinischen Territorialstaaten vom 16.Jahrhundert bis zum Beginn der Emanzipationszeit. in: Jüdisches Leben im Rheinland, hrsg. von Monika GRÜBEL und Georg MÖLICH, Köln 2005, S. 99 f.

7  Vgl. STERN, Selma: Der Preußische Staat und die Juden, S. 531 – 535.

8  Vgl. HONIGMANN, Peter: Zur Kulturgeschichte der jüdischen Registratur, in: Jüdische Genealogie im Archiv, in der Forschung und digital, Quellenkunde und Erinnerung, hrsg. von Bettina Joergens, Essen 2011, S. 49.

9  Vgl. Leo Baeck Institute: Selma Stern-Taeubler Collection (AR 7160 / MF 479), Series II: Research, 1713-1799, Notes and Tables – Kurmark, Potsdam, 1724-1734, Nr. 204.

10  Vgl. TERLINDEN, Grundsätze des Judenrechts nach den Gesetzen für die Preußischen Staaten, Halle 1804, S. 70 – 80.

11  Vgl. ebd., S. 80 – 82.

12  TERLINDEN nennt in seinem Buch einen Betrag von 10.000 Reichsthalern, vermutlich ein Druckfehler. Vgl. Generaljudenreglement vom 16. April 1750, Abschnitt V 2.

13  Vgl. ebd., S. 83 – 87. Zu diesem Personenkreis gehörten u.a. Rabbiner, Schulmeister, Köller und Totengräber (Abb. 4 c).

14  Vgl. ebd., S. 110.

Text

Klaus Boas (Forschungsgruppe „Juden in Brandenburg“)